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Über die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienpflichten

Veröffentlicht am 20.07.2022
Eine arbeitstätige Tochter betreut ihre Mutter, die sich nach dem Tod des Ehemanns in einer schweren psychischen Krise befindet.
Der Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienpflichten wird ein grosser Stellenwert zugemessen. Vor diesem Hintergrund stellt sich u.a. die Frage, wann ein Arbeitnehmender zur Pflege und Betreuung eines kranken Familienangehörigen einen über den vertraglich vereinbarten Ferienanspruch hinausgehenden Anspruch auf Gewährung eines bezahlten Urlaubs hat.

von Lukas Pinggera, Rechtsanwalt bei Swiss Legal Lardi & Partner AG

Pflege- und Betreuungsleistungen durch (Familien-) Angehörige sind allgegenwärtig. Durch die Covid-19-Pandemie wurde vielen der unvorhergesehene Eintritt eines Pflegefalles innerhalb der Familie und die damit einhergehenden Konfliktsituationen zwischen Familienpflichten und Berufstätigkeit ins Bewusstsein gerufen. Unabhängig von der Pandemie wurden Anfang beziehungsweise Mitte 2021 drei neue Urlaubsformen ins Obligationenrecht eingefügt, darunter der Urlaub für die Angehörigenbetreuung (vgl. Art. 329h OR).

Anspruch auf Betreuungsurlaub

Zweck von Art. 329h OR ist es, Arbeitnehmenden einen Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit zu gewähren, in der die Betreuung eines Familienangehörigen oder des Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung notwendig ist. Familienangehörige sind Verwandte in auf- und absteigender Linie (Eltern und (Stief-) Kinder, zu denen ein zivilrechtliches Kindesverhältnis besteht), Geschwister, Ehegatten und Schwiegereltern. Als Lebenspartner soll gemäss den Gesetzesmaterialien gelten, wer mit dem Arbeitnehmenden seit mindestens fünf Jahren einen gemeinsamen Haushalt führt.
Der Urlaub ist auf höchstens drei Arbeitstage pro Ereignis (für länger andauernde oder wiederholt auftretende Ereignisse besteht nur eine einmalige Bezugsmöglichkeit) und auf höchstens zehn Tage pro Kalenderjahr begrenzt.
Für den Bezug ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung der zu betreuenden Person vorausgesetzt, wobei der Begriff weit zu verstehen ist und nebst Krankheit auch Behinderungen erfasst. Obwohl den Gesetzesmaterialien diesbezüglich nichts zu entnehmen ist, erscheint es angezeigt, auch psychische Beeinträchtigungen unter Art. 329h OR zu erfassen.
Schliesslich muss die Betreuung notwendig sein und nicht durch andere Personen, beispielsweise andere Familienangehörige, übernommen werden können. Bei Voraussehbarkeit des Betreuungseinsatzes sind wohl auch externe Betreuungsangebote miteinzubeziehen. Das Kriterium der Notwendigkeit wird in der Praxis durch die Gerichte zu präzisieren sein. Den Beweis, dass sämtliche Bezugsvoraussetzungen gegeben sind, muss der Arbeitnehmende erbringen. Entsprechend wird sich in den meisten Fällen das Beibringen eines ärztlichen Zeugnisses aufdrängen.

Erfolgte Verbesserungen

Vor Einführung des Art. 329h OR war die Betreuung von Personen, gegenüber denen der Arbeitnehmende eine gesetzliche Unterstützungspflicht zu erfüllen hat, ausschliesslich von Art. 324a OR geregelt. Für die Betreuung von Personen, die nicht von Art. 324a OR erfasst sind, zum Beispiel Eltern und Lebenspartner, war Art. 329 Abs. 3 OR anwendbar.
Gegenüber Art. 324a OR, der weiterhin und neben Art. 329h OR anwendbar ist, hat Art. 329h OR den Vorteil, dass keine Karenzfristen bestehen, keine Verlängerung der Probezeit erfolgt und der Urlaubsbezug zu Betreuungszwecken nicht mehr ausschliesslich über das Jahreskontingent von Art. 324a OR abgerechnet wird. Gegenüber dem ebenfalls weiterhin und neben Art. 329h OR anwendbaren Art. 329 Abs. 3 OR, hat Art. 329h OR den Vorteil, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Bezugsanspruch besteht und der Urlaubsbezug bezahlt ist. Demgegenüber verbleibt bei Art. 329 Abs. 3 OR der Entscheid über die Bezugsgewährung alleine beim Arbeitgebenden. Sodann ist eine Lohnfortzahlung nur geschuldet, sofern sie üblich oder verabredet ist.

Arbeitgeberseitige Umsetzung

Die neuen Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienpflichten sind zu begrüssen. Arbeitgeberseitig haben diese Massnahmen aber betriebliche und finanzielle Auswirkungen.
Es empfiehlt sich daher, die interne Ressourcenplanung (z. B. organisatorische Stellvertretungslösungen für kurzfristige Abwesenheiten, unter Berücksichtigung der Kosteneffekte und Lohnbuchhaltung) zu überarbeiten, allfällige interne Reglemente an die neuen Bestimmungen anzupassen und für eine transparente Kommunikation zu sorgen.

www.swisslegal.ch

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